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Es läuft und läuft

In der Hochwasser-Situation 2021 ist Thielle ganz anders. Es ist intensiver, herzlicher, erstaunlicher. Ich fasse hier einige Gespräche zusammen.





28. 7. 2021


Erstens: Die Hochwasser-Situation


Stefan ist mein Nachbar auf dem Lichtplatz - dem Standplatz der Wohnmobile in der Nähe des Lichthauses.

Der Platz heisst auch „Sunset Boulevard“, wie einige Eingeweihte wissen. Dort geht immer so schön die Sonne hinter dem Jura unter.

Mit Stefan hatte ich einige spannende Gespräche. Er ist Geländewart in Thielle, und gleichzeitig ein weit gereister und sehr erfahrener Mensch. Er hat unter anderem als Buchhändler und als Bestatter gearbeitet und kennt sich sehr gut mit Osho aus.

Beim Mittagessen im Foyer befrage ich ihn erneut, wie denn die Schäden in Thielle so aussehen.

Ein wichtiger Faktor waren die Sanitär-Anlagen. Die Anlagen beim Klosterhof und beim Dorfbrunnen Süd mussten vorübergehend geschlossen werden, weil der Ablauf nicht mehr gewährleistet war. Die neue Anlage beim Dorfbrunnen Nord, Nähe Restaurant, war auch in Gefahr. Von dort laufen die Abwässer ins Pumpenhaus, bei der Rossweid, und werden dann zur Kläranlage gepumpt. Als die Pumpe vorübergehend nicht funktionierte, bestand die Gefahr, dass das Gelände geschlossen werden müsste. Das ist gottlob nicht eingetreten.

Unter dem Sonnenpavillon ist ein grosser Keller, der meterhoch überschwemmt war. Die Schäden dort sind noch nicht absehbar.

Im Domzelt hat sich der Holzboden netterweise mit dem Hochwasser gehoben. Der Boden schwamm ca 50 cm hoch auf dem Wasser und passte gerade noch ins Zelt. Die Stühle und die Musik-Anlage stiegen mit hoch…

Wir diskutierten über die Möglichkeit, in der Zukunft auch Wohnwägen schwimmend zu bauen.

Die beiden Flösse sind wieder im Einsatz, mit entsprechenden neuen schwimmenden Elementen.

Stefan berichtete auch von zahlreichen freiwilligen Helfern, die viele Stunden im Einsatz waren und sind.


Ich war selbst erstmals mit dem SUP auf dem See unterwegs, und es war herrlich. Ich traf auch einzelne Schwimmer*innen an, denen das Unkraut im See nichts ausmachte.


Mit unserem Betriebsleiter David konnte ich mich auch kurz austauschen. Er war erstaunlich entspannt, aber er bestätigte mir, dass die Situation sehr schwierig sei. Er sei gerade am Abklären, ob und in welcher Weise auch Versicherungen zu Hilfe kommen könnten.

Wegen der geringeren Gästezahl brauche er nicht mehr alle Mitarbeiter*innen. Damit sei schwer umzugehen. Er hatte zu Saisonbeginn ein Treffen aller Mitarbeiter organisiert, das sehr harmonisch ablief. Ich erzählte ihm von der Findhorn-Gemeinschaft in Schottland, bei der die Mitarbeiter im Zentrum der Gemeinschaft stehen. Findhorn durchläuft eine schwere Zeit, denn wegen Covid konnten ca 50 % der festen Mitarbeiter nicht mehr gebraucht werden. Es hat auf Internet-Inspiration und regionale Vernetzung umgestellt.


Zweitens: Die menschliche Situation


Sowohl Stefan als auch David bestätigten mir, dass die menschliche Atmosphäre sehr angenehm sei. „Die Leute haben eine Lächeln im Gesicht“, sagte David. Für viele Thieller sind an ihren Wohnwägen schwere Schäden entstanden, die noch gar nicht richtig abzusehen sind.

Thomas G war hier für einen Nachmittag. Sein Wohnwagen-Boden war überschwemmt; diese Überschwemmung ist nun zurückgegangen. Allerdings haben sich tausende von Ameisen auf der Matratze versammelt. „Das ist ein schwarzer breiter Streifen, kohlrabenschwarz“, sagte er.


Silke versammelt wie jedes Jahr ihre jungen Tänzer*innen jeden Nachmittag in der Halle. Dank dieser Aktivität sind auch viele Eltern am Platz, und das ist gut. Die jungen Leute bringen wie immer eine schöne Frische mit, und man sieht sie manchmal auch beim Tichu abends im Foyer.


Mit Stefan tauschte ich mich auch über die allgemeine Situation in Thielle aus. Wir fanden, dass Thielle sozusagen die Welt im kleinen abbildet. Wir waren uns einig, dass heutzutage unsere Gesellschaft über-informiert ist. Diese Überflutung ist für viele zu viel. Wir sprachen über das Thema des „Good Government“ - der guten Führung in politischen und sozialen Zusammenhängen. Ich habe über dieses Thema in den letzten Jahren auch immer wieder mit Martin B gesprochen.

Wir nahmen zur Kenntnis, dass in Thielle immer wieder grosse menschliche Konflikte aufgetreten waren. Manche Menschen/ Mitarbeiter verliessen verbittert diesen angeblich paradiesischen Ort.

Ich erinnerte an einen grossen Konflikt vor ca 12 Jahren, als ein Mitglied des Stiftungsrates es dem damaligen Leiter sehr schwer machte. Beide Männer, die ursprünglich das reformerische „Netzwerk Renaissance“ mit begründet und geführt hatten, verliessen das Gelände nach jahrelangen Auseinandersetzungen.

Ich verglich diesen Prozess mit der Situation nach dem 2. Weltkrieg. Die USA und Russland hatten Deutschland gemeinsam besiegt. Es dauerte kein Jahr, da entwickelten sie eine fürchterliche Feindseligkeit gegeneinander, mit der Gefahr eines Atomkrieges.

Stefan wies auf ein Zitat von Krishnamurti hin. Der hatte gesagt, dass die Revolutionäre, sobald sie an der Macht sind, meist noch schlimmer als die autoritären Herrscher sind.


Vor diesem Hintergrund waren wir sehr froh, dass gegenwärtig in Thielle ein bemerkenswerter Friede herrscht.


Wir waren uns auch einig, dass es manchmal gute Ausnahmen von diesen Machtspielen gibt. Stefan erwähnte Nelson Mandela, und ich wies auf Julius Nyerere hin, den langjährigen Präsidenten von Tansania.


Aber wir vermissten auch „das Gesicht von Thielle“. Wer repräsentiert das Gelände mit Begeisterung und Führungskraft? Genügt es, auf der offiziellen Webseite Warnungen auszusprechen? Wo ist dort die Vision von Thielle lebendig und aktuell vertreten?


Gemäss Stefan haben die damaligen Machtkämpfe in Thielle dazu geführt, dass die offiziellen Thielle-Vertreter - und auch die Destinatäre - ziemlich ängstlich sind, wenn es um die Möglichkeiten neuer sozialer Gestaltungen geht.


Wenn denn Thielle die Welt ist: Nehmen wir die Chance wahr, diese Welt in ganzer Freiheit zu gestalten!

Denn ein Wort ist mir in den letzten Tag immer wieder entgegen gekommen: Die Sehnsucht nach Freiheit. Thielle sei ein Ort der Freiheit, und die Menschen kämen hierher, weil sie sich frei fühlten.

Prima! Feiern wir unsere Freiheit, setzen wir uns dafür ein, geniessen wir sie!


2. Teil


Durch einen guten Zufall komme ich ins Gespräch mit Markus, Stiftungsrat und Finanzminister der Stiftung. Sein Fazit: Das Gelände ist finanziell nicht in Gefahr. Es wird zwar grosse Einbussen gehen, die in die Hunderttausende gehen. Aber diese Lücke kann in den nächsten Jahren wieder aufgefüllt werden.

„Durch die Grosszügigkeit der ONS und die vielen Spenden konnten die Küche und das Foyer gebaut werden“, kommentiert er.

„Als nächstes stehen der Wurmbau und der Klosterhof an. Das kann noch ein paar Jahre warten.“

(„Wurmbau“ ist die liebevolle Bezeichnung für den Anbau am Lichthaus).

Da es schon spät am Abend ist - nach einem Tichu-Match im Foyer - kann ich mit Markus nicht über philosophische Themen sprechen.

Aber ich erinnere mich an ein Interview, das ich mit Joseph Gamma, unserem Stiftungsrats-Präsidenten, für die ONS-Revue gemacht habe. Es ist hier nachzulesen. Joseph sagte damals, dass er vor allem das Gemeinschaftsleben in Thielle stützen will, und dass er sich auch für die Mitarbeitenden einsetzen wolle. Er sprach von langfristigen Plänen für die nächsten 10 Jahre, von der Sanierung der Gebäude. Er erwähnte die Form des Open Space als eine Möglichkeit der Mitbestimmung. Er wollte Freiraum geben und gleichzeitig eine klare Linie fahren. Der Stiftungsrat soll sich nach seiner Meinung nur noch mit strategischen Themen, nicht mehr mit operativen Aufgaben beschäftigen.


3. Teil


Gespräch mit Marina


Ich habe Marina dieses Jahr in Thielle etwas näher kennen gelernt. Sie war schon als Baby vor 50 Jahren in Thielle; ihr Vater war eine bekannte Figur, ein Vortragsredner und kreativer Kopf.

Sie ist 2021 mit ihren 2 jugendlichen Söhnen angereist. Als sie vom Hochwasser hörte und eventuell die Reise absagen wollte, erfuhr sie, dass die Zugfahrt nicht erstattet werden konnte. Also kam sie an, fand trotz Hochwasser einen Zeltplatz in der Nähe der Sauna, und nahm am Thieller Leben bei. Sie erlernte in kurzer Zeit unser Thieller In-Spiel Tichu, und bei diesen Spielen konnten wir uns auch näher unterhalten. Schliesslich machte ich ein Interview mit ihr, als sie bereits nach Köln zurück gekehrt war. Sie antwortete mir als Kapitänin auf ihrem Schiff im Rhein, das sie seit einiger Zeit bewohnt.


Marina zeigte sich in dem Gespräch sehr angetan vom heutigen Thielle. Sie war 2018 das letzte Mal da gewesen, davor aber für lange Zeit nicht. Sie hatte noch intensiv die Zeit mit Elsi und später mit Christian Grünig erlebt.

Sie fand es heute angenehmer als damals, entspannter und gelassener.


Besonders begeistert zeigte sie sich von der Aufführung „Ronja Räubertochter“. Sie fand es erstaunlich, wie es Silke immer wieder gelingt, junge Menschen für den Volkstanz zu motivieren. Auch ihre beiden Söhne machten nach einigem Zögern mit und konnten sich in der Thieller Jugend-Gruppe integrieren und wohl fühlen.

Marina lobte das professionelle Niveau der Aufführung. Sie fand den Aufführungsort auf der Wiese beim Sonnenpavillon besonders reizvoll.

„Es ist sozusagen Mode bei den jungen Menschen, dort mitzumachen. Aber auch die Jugend-Truppe hat dazu beigetragen, dass meine Söhne schliesslich mit tanzten.“


Sie lobte auch das gute Auskommen zwischen den Generationen in Thielle.


Fazit


‚Wir lieben es‘, so hab ich vor kurzem getitelt. Wir lieben das Leben in Thielle, die Gemeinschaft, die Traditionen, die Solidarität, die Visionen, das Tanzen und Singen, die geistige Auseinandersetzung. Mit dieser Liebe tragen wir zu unserer eigenen Heilung und zur Gesundung der Gesellschaft bei. Wir sind auf dem Weg, ‚die beste Version von uns selbst‘ zu schaffen. Das können wir als einzelne und als Gemeinschaft.


Ich habe in meiner Broschüre „Thielle und die neue Zeit“ von Henry David Thoreau berichtet. Thoreau zog vor fast 200 Jahren in den Wald und berichtete darüber in seinem Buch „Walden“.

Er betrachtete jede Handlung als heilig, als religiös, als feierlich im weitesten Sinne.

In unserer westlichen Gesellschaft ist der Sinn für das Feierliche ziemlich verloren gegangen. Putzen wir uns daher feierlich die Zähne, trinken wir feierlich Kaffee im Café aux philosophes, begegnen wir uns feierlich!


«Ich zog in die Wälder, weil ich bewusst leben, mich nur mit den wesentlichen Dingen des Lebens auseinandersetzen wollte (...) um nicht auf dem Sterbebett einsehen zu müssen, dass ich nicht gelebt hatte.»


„Ich stand sehr früh auf und badete im See. Das war eine religiöse Übung und eine meiner besten Handlungen. Es heisst, in der Badewanne des Königs Tsching-Tschang sei folgende Inschrift eingemeisselt gewesen: ‚Erneuere dich vollständig jeden Tag; tue es immer wieder, für alle Zeit.‘


H.D. Thoreau


Ein Teil meines Mantras als inspirierter Ältester lautet: ‚Ich fange gerade an‘. Wir haben nun die Chance und Inspiration auch in Thielle, gerade anzufangen. Es geht erst richtig los!

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